Interview mit Ergotherapeutin Kerstin Siegemund

Frau Siegemund, Sie sind Diplom-Ergotherapeutin (BSc) und Zertifizierte Handtherapeutin (Afh), und leiten eine Praxis mit drei Mitarbeiterinnen in Bergisch Gladbach. Was hat Sie dazu bewegt das zu tun, was Sie heute tun?

Ich wusste schon früh, dass ich mit Menschen arbeiten wollte. Nur noch nicht genau wie. Vielleicht als Ärztin, vielleicht als Rechtsanwältin - da war ich zunächst unschlüssig. Im Laufe der Überlegungen bin ich beim Beruf der Ergotherapeutin hängengeblieben. Ein sehr vielfältiger Beruf mit vielen Arbeitsfeldern. Das ist sehr interessant und abwechslungsreich. Ich brauche immer Bewegung und brainfood in meinem Leben. Irgendwann eine eigene Praxis zu haben, hat sich zwangsläufig daraus ergeben, meine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Dass das schon mit 28 passiert, war nicht geplant, aber ich bereue nichts (lacht). 

Seit Anfang des Jahres ist auch Kathrin Fischer Teil ihres Teams und unterstützt Ihre Arbeit mit einem didaktischen Rollenspiel-Konzept names EduTale®. Was dachten Sie, als Frau Fischer ihnen vorschlug, Pen-&-Paper Rollenspiele für Ergotherapie einzusetzen?

Mit Kathrin Fischer über EduTale® zu sprechen war zunächst nur rein Interesse halber. Doch im Rahmen unserer zügellosen Phantasie erwuchsen immer mehr Ideen, was man alles zusammen verknüpfen könnte und welche tollen Möglichkeiten sich daraus für Kinder und Jugendliche ergeben können.

  

Nachvollziehbar, dass es grad ihre ausgeprägte Phantasie war, die sie da zusammengeführt hat. Welche Rolle spielten Erzählspiele bislang in Ihrer Praxis?

Bislang wenig. Therapieprogramme, die an eine übergeordnete Geschichte eingebunden sind, gibt es zwar schon, aber nicht in dieser inhaltlichen Intensität, wie das bei EduTale® der Fall ist. 

Der Einsatz von Rollenspielen in der Ergotherapie ist recht neu und bislang eine Nische. Wie wird dieses Konzept in Ihrer Praxis konkret umgesetzt, was sind Ihre Erfahrung bis jetzt?

Der Einsatz von EduTale® in der Praxis zeigt aktuell viel Begeisterung bei den Kindern. Einigen Kindern fällt es leichter, sich darauf einzulassen - andere brauchen etwas mehr Zeit, um ihren Platz in der Rolle und der Geschichte zu finden. Ausschlaggebend ist die gute Auswahl der Teilnehmer - unbedachtes Zusammenwürfeln wäre an dieser Stelle sehr ungünstig. Das, was früher oft normal war, scheint im Zeitalter der Digitalisierung mehr und mehr verlorengegangen zu sein. Der eigentlich verborgene Schatz „Phantasie“ kommt zu selten zur Anwendung im Alltag bzw. wird uns abtrainiert. Damit gehen bei den Kindern auch wichtige Fähigkeiten verloren. In unseren Rollenspiel-Sitzungen können die Kinder wieder eine Möglichkeit finden, diese Fähigkeiten aufzubauen....mit etwas mehr Spaß als stumpfen Lernen. 

Der Einsatz von Spielen, selbst entwickelte und adaptierte, gehört zum Ausbildungsspektrum der Ergotherapeut*innen. Welche Kompetenzen der Patienten können dadurch besonders gefördert werden?

Spiel ist keine Spielerei! Im Spiel testen und erproben wir Fähigkeiten und Fertigkeiten, die wir im Leben brauchen. Was wir nicht so gut können, das können wir im Spiel trainieren - das kann man schon in der Tierwelt beobachten (lacht).

Beim Rollenspiel muss man Empathie anwenden und erlernen - man muss eine neue Rolle einnehmen und diese mit Leben füllen, man muss sich in andere reindenken können, im Konzept strategisch sein, konzentriert, gut beobachten, was die Mitstreiter tun, Dinge einprägen, Lösungen überlegen und man muss sich manchmal eingestehen, dass das Problem nur mit Hilfe der anderen gelöst werden kann - also muss man teamfähig sein und auch mal Frustration hinnehmen.

Das Rollenspiel fördert also zum einen sozio-emotionale wie auch kognitiv-planerische Kompetenzen.

 

EduTale® ist wie schon gesagt, ein neues, innovatives Konzept. Wie weit kann sich dieses Konzept noch entwickeln, was muss eine Praxis bereitstellen, um EduTale® einsetzen zu können?

Um das Konzept in der Praxis umzusetzen braucht man neben der Phantasie nicht viel. Man kann mit wenig und mit viel arbeiten. Das Rollenspiel kann komplett an die Bedürfnisse und Ziele der Teilnehmer angepasst werden. Demzufolge kann es für den Spielleiter tendenziell leichter ausfallen oder auch sehr komplex mit viel Equipment.

 

Sie suchen derzeit eine(n) neue(n) Mitarbeiter*in. Was sollte dieser Mensch mitbringen, was kann er bei ihnen erwarten und wo wollen sie sich selbst und ihre Praxis in 5 Jahren sehen?

Die Ergotherapie braucht Persönlichkeiten, die motiviert sind, immer mit der Zeit zu gehen und in der Lage sind, den Menschen zu sehen. Das gilt für die Patienten ebenso wie für das Team. Emotionale Intelligenz ist da gerne das Schlagwort, Pragmatismus und Realitätssinn genauso wie das kleine Kind...einfach: sei Du selbst und nicht jemand anderes.

Wo ich mich sehe? Im Spiegel! Jeden Morgen. Irgendwie immer dasselbe, aber nie 08/15 (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch!