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Gewaltfreiheit im Rollenspiel

veröffentlicht am: 21.10.2022
Gewaltfreiheit im Rollenspiel

Häufiges Thema in Rollenspiel-Diskussionen zu Anwendungen im Bildungs- und Therapiesektor ist die Frage nach der Gewalt, oft mit Fokus auf körperliche Gewalt und Tod. „Sollen die Charaktere jemanden töten können?“, „Darf ein Charakter gewaltsam sterben?“ und „soll es Waffen und Kämpfe geben?“ Das sind interessante Fragen, die auch abhängig von Kontext unterschiedlich beantwortet werden können. Ich möchte heute aber von einer anderen Seite auf das Thema kommen und fragen:

„Wie kann man Gewaltfreiheit in ein Rollenspiel Spiel bringen und etwas über dieses Konzept lernen?“

Dazu erneut meine alte Anekdote: Meine Therapiegruppe wechselte von dem System „Tails of Equestria“ zu dem klassisch aufgestellten Rollenspiel „Beyond the Wall“. Bei der ersten Begegnung mit potentiellen Feinden (die Goblins im Dungeon) kämpfen sie natürlich nicht, sondern fragen nach: „Wie sehen die Goblins aus? Sind sie wütend oder besorgt?“ und fragen die Goblins „Was für ein Problem habt ihr? Können wir euch helfen?“

Dieses Verhalten passt überhaupt nicht in das vorgesehene Abenteuer und wirkte deshalb absurd. Für die Spieler*innen verhalten sich ihre Figuren aber so, wie sie es gelernt haben:

Natürlich haben die Spieler*innen so reagiert, weil in „Tails of Equestria“, so wie ich es mit Ihnen zuvor gespielt hatte ,Probleme der NSCs gelöst werden müssen. So wurden Antagonisten in der Regel zu Freunden. Es ging nicht darum, nicht kämpfen zu dürfen, sondern Möglichkeiten zu finden, dem Gegenüber zu helfen. Das ist eher untypisch für Pen-&-Paper Rollenspiele: Starter/Einsteigerspiele diverser Regelwerke steigen mit Kämpfen ein, schließlich sollen die Kampfregeln schnell gelernt werden, damit die Kämpfe im Spiel später rund laufen.

Was aber haben die Spieler*innen bei mir in Equestria gelernt?

Sie nehmen ihr gegenüber, den NSC zunächst genau wahr indem sie der Beschreibung lauschen und nach äußeren Merkmalen der Stimmung suchen. Dann stellen Sie der Figur Fragen. Sie haben Interesse zu helfen und wenn dies gelingt, ist das ein großer Erfolg, über den man sich gemeinsam freut.

Vor einiger Zeit las ich für ein Projekt das Buch „Gewaltfreie Kommunikation“ von Marshall B. Rosenberg. Ich ging zunächst kritisch an das Werk, ist es doch mehr Ideologie, die in der Tradition der Lehre des Dalai Lama, als empirisch gesicherte Methodik. Das Grundprinzip ist jedoch so einfach wie überzeugend und das Ziel eine Verbesserung der Lebensqualität jedes Einzelnen. Vereinfacht besteht der Prozess darin,

  1. auszudrücken oder wahrzunehmen, wie es sich selbst und anderen geht,
  2. seine Gefühle auszudrücken oder die des anderen zu erfragen,
  3. daraus die Bedürfnisse zu definieren
  4. und als letztes Bitten zu formulieren.

Das klingt recht einfach, funktioniert im Alltag aber oft nicht, da wir teils nicht wissen, was wir fühlen, uns die Worte fehlen oder uns peinlich ist, über Gefühle zu sprechen. Oft machen wir uns selbst und anderen eher Vorwürfe, als auszudrücken, was uns wirklich fehlt und so kommt es schnell zu Streit.

So kann der Weg zur Gewaltfreiheit über Sprache und Kommunikation führen – und genau das ist schließlich eine große Stärke von Pen-&-Paper Rollenspielen!

Natürlich besteht nicht jede Runde „Tails of Equestria“ aus Gewaltfreier Kommunikation und wird diesem Konzept gerecht, aber ich habe hier gelernt, dass ein Spiel Spaß machen kann, welches Aspekte davon aufnimmt. Nicht als Verbot von Kampf, sondern als Möglichkeit der Problemlösung.

Und natürlich möchte nicht jeder in der zuckersüßen Pony-Welt traurige Kätzchen trösten. Ich kann mir aber durchaus Charaktere in klassischen Settings vorstellen, die Gewaltfreie Kommunikation in ihr Grundkonzept einarbeiten könnten. Zum Beispiel eine Gruppe Geistliche. Ich warte gerade auf mein Avatar-Rollenspiel und werde es damit ausprobieren.

Vielleicht probiert Ihr es auch mal aus,

Eure Kathrin